Strategist’s Corner
4 min

Versteckte Portfoliorisiken erkennen

Wir analysieren Herausforderungen durch versteckte Portfoliorisiken – und vergleichen sie mit schwer zu diagnostizierenden Krankheiten.

Autor 

Robert M. Almeida 
Portfoliomanager und
Global Investment Strategist

Im Überblick

  • Wie Krankheiten kommen Portfolioverluste oft ohne Vorwarnung.
  • Wenn ein Konjunkturzyklus in die Jahre kommt, entwickeln sich die Unternehmensgewinne nach GAAP und die bereinigten Gewinne oft stärker auseinander. Alle Abweichungen müssen kritisch überprüft werden – am besten von  rfahrenen Portfoliomanagern mit den nötigen Kapazitäten.
  • Ob es um unsere Gesundheit oder um Portfolios geht – die wahren Risiken sind nicht leicht zu erkennen. Wie bei schwer zu diagnostizierenden Krankheiten halten wir auch bei Portfoliorisiken Prävention für wichtig.

Versteckte Risiken

Zu den weltweit häufigsten Todesursachen zählen Krebs und degenerative Krankheiten des Nervensystems. Beides ist nicht leicht zu diagnostizieren, und oft gibt es nicht einmal Biomarker. Trotz aller Fortschritte der Medizin werden solche Erkrankungen daher häufig viel zu spät entdeckt.

Die meisten Anlageexperten setzen Risiko mit Volatilität gleich. Sie ist klar definiert und leicht messbar – und ein nützlicher Indikator für die mögliche Spanne künftiger Ergebnisse. Doch wie manche Krankheiten aus heiterem Himmel kommen, können auch Kurse ohne Vorwarnung und Aussicht auf Besserung einbrechen. So war es gerade erst bei zwei großen Unternehmensinsolvenzen in den USA. Viel war in den Medien von betrügerischen Machenschaften und hohen Verlusten die Rede. Uns geht es hingegen um die Lehren für Anleger.

Mehr Gewinnbereinigungen, wenn der Konjunkturzyklus andauert

In den USA verlangt die Securities and Exchange Commission von börsennotierten Unternehmen einen Gewinnausweis nach den Generally Accepted Accounting Principles, kurz GAAP. Demnach müssen sämtliche Ausgaben berücksichtigt werden, auch unregelmäßige oder nicht zahlungswirksame. In anderen Ländern gilt mit den International Financial Reporting Standards (IFRS) oft ein ähnlicher Rahmen.

Natürlich kann die Geschäftsleitung den Gewinnausweis nach GAAP oder IFRS um bereinigte Zahlen ergänzen, die die Lage des Unternehmens ihrer Ansicht nach besser abbilden.

Oft sind die bereinigten Gewinne höher als die Gewinne nach GAAP oder IFRS. Wie die folgende Abbildung auf Basis allgemein verfügbarer US-Daten zeigt, schwankt der Abstand aber. Meist ist er umso größer, je länger der Konjunkturzyklus dauert.

Zu Beginn eines Aufschwungs sind die Faktorpreise niedrig, und die Anlegererwartungen halten sich in Grenzen. Wenn die Wirtschaft wächst, steigt die Nachfrage nach Kapital, Arbeit und Gütern. Die Umsätze nehmen zu, die Kosten aber auch. Gewinnvergleiche werden schwieriger, vor allem, wenn einem Unternehmen neue Konkurrenz droht oder es die Preise nicht so stark anheben kann, wie die Kosten steigen.

Da die Aktienbewertungen im Laufe des Konjunkturzyklus steigen, achten professionelle Investoren genau auf Anzeichen für fundamentale Schwächen. Die Geschäftsleitungen sind daher bestrebt, möglichst hohe Gewinne auszuweisen. Sie addieren Ausgaben, die sie als „einmalig“ oder „nicht regelmäßig“ bezeichnen, wieder hinzu, damit die Zahlen besser werden.

Natürlich liefern die so ermittelten Gewinne Anlegern wichtige Informationen. Dennoch sollte man bei übermäßigen Bereinigungen vorsichtig sein.

Die Zeit von 2009 (dem Ende der internationalen Finanzkrise) bis 2021 (der Erholung nach Corona) war außergewöhnlich. Die Kapitalkosten wurden künstlich gedrückt, auf das niedrigste Niveau seit Beginn der Erhebungen. Weil sich die Unternehmen vor allem mit Finanztransaktionen befassten, statt in Produktivkapital zu investieren, stagnierte das Wirtschaftswachstum. Unternehmen begaben Anleihen und schütteten das eingeworbene Kapital über Dividenden und Rückkäufe an ihre Aktionäre aus. Außerdem übernahmen sie andere Unternehmen, um das fehlende organische Umsatzwachstum auszugleichen.

2022 änderte sich das dann drastisch. Jetzt wurde das Kapital nicht mehr an die Aktionäre ausgeschüttet, sondern investiert – in den Aufbau von KI, die Neuausrichtung der Lieferketten und andere langfristige Aktiva.

Geschäftsleitungen sprechen gern von großen Einsparungen durch Künstliche Intelligenz. Aber kurzfristige Effizienzgewinne werden durch den Wettbewerb oft wieder zunichtegemacht. Dieselbe Technologie, die Einsparungen ermöglicht, senkt oft auch die Markteintrittschancen. Wenn neue Unternehmen an den Markt kommen, verschärft sich der Wettbewerb. Preiskriege drohen, und die Gewinnmargen fallen wieder auf das alte Niveau, wenn nicht darunter.

Wenn KI die Gesellschaft wirklich so stark verändert wie die Dampfmaschine, die Elektrizität oder das Internet, entstehen Branchen und Dynamiken, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Als Amazon 1995 sein erstes Buch im Internet verkaufte, rechneten wohl nur wenige damit, dass man 30 Jahre später Taxis, Lebensmittel und Medien mit dem Smartphone bestellen kann. Verbraucher haben dadurch mehr Wahlmöglichkeiten. Das Leben wird bequemer und billiger. Langfristig wirkt Technologie deflationär.

Angesichts der zurzeit höheren Faktorkosten und des mäßigen Wachstums – und der schöpferischen Zerstörung durch neue Technologien – haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Die Aktiva aus der Zeit des geringen Umsatzwachstums und der niedrigen Zinsen mögen damals attraktiv gewesen sein, oder vielleicht auch nicht. Daher müssen jetzt alle Abweichungen von den Gewinnen nach GAAP kritisch überprüft werden – am besten von erfahrenen Portfoliomanagern mit den nötigen Kapazitäten.

Fazit

Ob es um unsere Gesundheit oder um Portfolios geht – die wahren Risiken sind nicht leicht zu erkennen. Wie bei schwer diagnostizierbaren Krankheiten halten wir auch bei Portfoliorisiken Prävention für wichtig.

Für uns als fundamentale Investoren bedeutet das, dass wir alles kritisch hinterfragen müssen. Wir glauben, dass Unternehmen gemieden werden sollten, deren bereinigte Gewinne zu sehr über den GAAP-Gewinnen liegen oder denen schärferer Wettbewerb droht. Setzen Sie stattdessen auf Firmen mit dauerhaften Wettbewerbsvorteilen. Sicher ist das leichter gesagt als getan. Aber in der derzeitigen Übergangsphase ist es wichtig. „Survival of the least fit“ war gestern. Jetzt heißt es wieder „Survival of the fittest“.

 

Die hier dargestellten Meinungen sind die des Autors/der Autoren und können sich jederzeit ändern. Sie dienen ausschließlich Informationszwecken und dürfen nicht als Empfehlung zum Kauf von Wertpapieren, Aufforderung oder als Anlageberatung verstanden werden. Prognosen sind keine Garantien. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für künftige Ergebnisse.

66662.1
close video