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Strategist's Corner
5 min

Technischer Fortschritt und Finanzzyklen: KI ist nicht anders

Wir analysieren Finanzzyklen und Marktübertreibungen, um der derzeitigen KI-Boom besser zu verstehen.

Autor

Robert M. Almeida
Portfoliomanager und Global Investment Strategist

  • Viele neue Technologien verändern die Gesellschaft. Dabei verlagert sich ihr wirtschaft-licher Nutzen von den Produzenten zu den Verbrauchern. Unterdurchschnittliche Gewinn-margen sind die Folge. 
  • Die Ausbreitung transformativer Technologien folgt einem immer gleichen Muster. Der Wettbewerb verringert die Gewinnmargen. 
  • Anleger könnten Mehrertrag erzielen, wenn sie Branchen mit geringer Produkt-differenzierung meiden und stattdessen in Unternehmen mit nur schwer zu kopierenden Stärken investieren.

Jeder Finanzzyklus ist anders, und doch gibt es ein gemeinsames Muster. Der wirtschaftliche Nutzen bahnbrechender, die Wirtschaft verändernder Schlüsseltechnologien verlagert sich von Produzenten zu Verbrauchern, wenn sie zum Standard werden. Wer das weiß, kann Finanzzyklen und Marktübertreibungen besser verstehen – und damit auch die derzeit boomenden KI-Investitionen. 

Das Paradoxon der Schlüsseltechnologien

Gerade war ich auf Geschäftsreise im Nahen Osten. Der 14-stündige Rückflug schien mir lang, aber vor 100 Jahren wäre ich 14 Wochen unterwegs gewesen. Die Luftfahrt hat die Welt kleiner werden lassen. Lieferzeiten haben sich verkürzt, der Welthandel ist gewachsen, die Menschen sind vernetzter, und die Weltwirtschaft ist stärker integriert. Wohl nur wenige würden bestreiten, dass eine Schlüsseltechnologie wie die Luftfahrt einen großen gesellschaftlichen Nutzen hat. Aber unabhängig davon, wo im Konjunkturzyklus wir gerade stehen, sind die Gewinnmargen der Fluglinien unterdurchschnittlich. 

Nicht anders ist es bei anderen Schlüsseltechnologien. Auch das Auto bringt Menschen und Güter schneller von einem Ort zum anderen, und auch die Automobilindustrie muss sich mit mageren Margen begnügen. Weitere Beispiele sind Radio und Fernsehen und natürlich der Computer, der in den späten 1980ern Einzug in die Büros hielt. Die Produktivität stieg zwar deutlich, aber die Kapitalrenditen von Computerherstellern liegen unter dem Marktdurch-schnitt (zumindest dann, wenn sie keine mobilen Endgeräte produzieren). 

Das führt zu einem berechenbaren Zyklus, der sich in mehrere Phasen zerlegen lässt:

  1. Eine neue, stark nachgefragte Technologie steht nur begrenzt zur Verfügung, sodass die Gewinnerwartungen steigen.
  2. Die Aussicht auf hohe Erträge lockt Unternehmer und Kapital an. Dadurch steigen Angebot und Aktienkurse.
  3. Wenn die Technologie immer häufiger eingesetzt wird, ruft das neue Anbieter auf den Plan. Schließlich ist das Angebot höher als die Nachfrage. Die Margen gehen zurück.
  4. Die hohen Aktienkurse brechen ein, die Branche konsolidiert sich.
  5. Je abhängiger Wirtschaft und Märkte vom Investitionsboom waren, desto stärker brechen Konjunktur und Märkte ein.

Das Paradoxon entsteht nicht dadurch, dass die neue Technologie scheitert. Im Gegenteil, sie wird sogar immer besser. Computer sind heute leistungsfähiger und schneller, Fernsehgeräte sind leichter und haben eine höhere Bildqualität, Autos brauchen weniger Treibstoff und halten länger, Flugzeiten werden kürzer, etc., etc. Das ist der Kern des Paradoxons: Je mehr sich die neue Technologie verbreitet, desto weniger verdienen ihre Produzenten und deren Aktionäre.

Diese Entwicklung führt oft zu Exzessen und Korrekturen, in der Wirtschaft und an den Märkten. Viele Unternehmer und Investoren erkennen nicht die Macht des Kapitalismus und der Markt-wirtschaft. Anleger sind voller Ehrfurcht für den wissenschaftlichen Fortschritt – und übersehen, dass sich der wirtschaftliche Nutzen von den Produzenten auf die Gesellschaft verlagert. Die Funktionsweise von Wirtschaft und Märkten kennenzulernen, kann schmerzhaft sein.

Was bedeutet das für KI und den aktuellen Finanzzyklus?

Algorithmen prognostizieren die Zukunft auf Basis der Vergangenheit – und nehmen mit ihren Prognosen wiederum Einfluss auf die Zukunft. Das macht KI zu einem sehr wirkungsvollen Prognosetool mit einer Rechenkraft, die die des menschlichen Gehirns um Längen hinter sich lässt. KI ist ein beeindruckendes Ergebnis menschlicher Ingenieurskunst, das jeden Tag besser wird.

Wie bei anderen historischen Schlüsseltechnologien ist das aber eine zweischneidige Angelegen-heit. Wenn wirklich so hohe Gewinnmargen zu erwarten sind, wie der KI-Hype impliziert, sollte auch mit einem wachsenden Angebot und damit einer Wiederholung der alten Muster zu rechnen sein. Wie war es noch gleich, als zu Jahresbeginn DeepSeek an den Markt kam?

Außerdem werden die meisten KI-Modelle mit Daten trainiert, die andere ebenfalls nutzen. Die sehr kapitalintensiven KI-Modelle könnten sich daher nicht nur neuen Wettbewerbern stellen müssen. Es wird auch immer schwerer und teurer, es mit den bereits eingeführten Modellen aufzunehmen, wenn alle dieselbe Datenbasis nutzen – das Internet. Wenn im Grunde alle das Gleiche anbieten, halten sich Preismacht und Gewinnpotenzial in Grenzen.

Die folgende Abbildung zeigt die Gewinnmargen des S&P 500 und des MSCI EAFE. Man sieht deutlich den Beginn der Übertreibungen in den 2010ern, nach einer langen Phase künstlich niedriger Zinsen, niedriger Kosten und eines schrumpfenden Kapitalstocks aufgrund der Globalisierung. Wenn KI, wie andere Schlüsseltechnologien zuvor, irgendwann unter stärkeren Wettbewerbsdruck gerät und zu einem Standardprodukt wird, dürften die Investitionen nachlassen, mit Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Dann könnten die vom Hype überdeckten Risiken offen zutage treten.

Fazit

Ähnlich wie bei anderen Technologien glaube ich nicht, dass man Informatiker oder Programmierer sein muss, um das wirtschaftliche Potenzial von KI beurteilen zu können. Investoren müssen lediglich das Nachfragepotenzial mit dem durch Investitionen entstehenden Angebot vergleichen. Davon hängen Gewinnmargen und Aktienperformance am Ende ab.

Bei der langfristigen Asset-Allokation sollte man unserer Ansicht nach Unternehmen meiden, denen eine geringe Produktdifferenzierung droht, egal, ob das mit KI zu tun hat oder nicht. Interessanter scheinen Unternehmen, deren Stärken nicht leicht zu kopieren sind. Dazu zählen KI-Ermöglicher wie ausgewählte Hyperscaler. Chancen sehen wir auch bei vertikal integrierten Softwarefirmen mit speziellem Know-how. Manche horizontal integrierte Softwarehäuser, die Anwendungen für verschiedenste Branchen programmieren – Buchhaltungs- oder Customer-Relationship-Software etwa –, könnten hingegen Marktanteile verlieren, wenn immer mehr Unternehmen KI nutzen.

Den Trend zur Standardisierung und fallende Gewinnmargen erleben wir aber nicht nur in der Technologie. KI macht die Verbraucher mündiger. Dadurch wird es schwieriger, mit mittelmäßigen Produkten und Dienstleistungen Geld zu verdienen, deren einziger Wettbewerbsvorteil die mit hohem Werbeaufwand geschaffene Marke ist. Ihre Anbieter dürften es angesichts des zunehmenden Wettbewerbs künftig schwerer haben. Am Ende sind sie gezwungen, deutlich weniger Geld für Werbung auszugeben, um lange überfällige Innovationen zu finanzieren. Vielen Unternehmen wird es schwerfallen, ihre hohen Margen zu verteidigen.

Wer überdurchschnittliche Anlageerträge will, muss wählerisch sein. Viel ist im Fluss, mit zahlreichem Auf und Ab. Genau deshalb trauen wir aktiven Managern Mehrertrag gegenüber passiven Ansätzen zu.

 

 

Die hier dargestellten Meinungen sind die des Autors/der Autoren und können sich jederzeit ändern. Sie dienen ausschließlich Informationszwecken und dürfen nicht als Empfehlung oder Angebot zum Kauf eines Wertpapiers oder als Anlageberatung verstanden werden. Prognosen sind keine Garantien. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für künftige Ergebnisse.

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