Anleihen im Blickpunkt: Risiken steuern, Chancen nutzen
AUTORIN
Pilar Gomez-Bravo, CFA
Co-CIO, Fixed Income
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Im Überblick
- Unterschiede in Geld- und Fiskalpolitik sorgen für Unsicherheit und Irritationen am Markt.
- Der Verlust des AAA-Länderratings dürfte den Dollar mehr treffen als US-Staatsanleihen.
- Um Marktverzerrungen zu nutzen, muss man Liquidität vorhalten und flexibel sein.
Die Unsicherheit am Anleihenmarkt ist groß, und entsprechend hoch ist die Volatilität. Anleger müssen mit schwankendem Wirtschaftswachstum, Inflationsdruck und einer unberechenbaren Politik zurechtkommen. Zölle und die heterogene Geld- und Fiskalpolitik machen Entscheidungen komplexer. Um Risiken zu steuern und Chancen zu nutzen, braucht man ein strategisches Konzept.
Anleihenrisiken managen, Anleihenchancen nutzen
Anlegern macht zurzeit vor allem die Geld- und Fiskalpolitik Sorgen. Die sehr unsichere Lage, vor allem in den USA, irritiert. Die Notenbanken erwarten weniger Wachstum und werden die Leitzinsen vermutlich weiter langsam senken, wobei die Fed ihre Geldpolitik später anpassen dürfte als andere. Das wichtigste fiskalpolitische Thema ist aber das USHaushaltsgesetz. Wird das Haushaltsdefizit steigen? Das wäre nicht ohne Folgen für Märkte, Kapitalströme und den Dollar.
US-Staatsschulden und Volatilitätsrisiken bestimmen die Anleihenmärkte weltweit. Die hohe Staatsverschuldung macht sie weniger berechenbar. Auch könnten sie überkauft sein, sodass Zwangsverkäufe denkbar scheinen. Vor allem am wenig liquiden OTC-Markt kann ein rascher Positionsabbau zum Problem werden. Am größten dürfte die Unsicherheit im Spätsommer sein, wenn eine Reihe von Konjunkturdaten veröffentlicht wird und die Verhandlungen über die Schuldenobergrenze zum Abschluss kommen müssen.
Die Herabstufung der USA ist eher ein langfristiges Thema als eine akute Gefahr. Nach der Herabstufung des US-Länderratings von AAA durch Moody’s befassen sich Anleger mit den möglichen Konsequenzen. Am Tagesgeschäft dürfte sich nicht viel ändern, zumal die beiden anderen großen Agenturen die USA schon vor längerer Zeit herabgestuft hatten. Einige institutionelle Anleger müssen aber ihre Richtlinien für den Anteil von AAA-Titeln anpassen. Die klassische Definition einer Flucht in die Sicherheit oder Qualität ist nach der Herabstufung vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Traditionell gelten US-Staatsanleihen als der Inbegriff von Sicherheit – aber jetzt stellt sich die Frage, was ein risikoloses Wertpapier eigentlich ausmacht.
Stärker als Staatsanleihen dürfte der Dollar unter Druck stehen. Dennoch sollte man nach der zuletzt kräftigen Abwertung nicht zu sehr untergewichtet sein. Am langfristigen Bedeutungsverlust der US-Währung wird sich aber nichts ändern, sodass der Dollar weiter strukturell nachgeben könnte. Wenn die USA ihr Handelsbilanzdefizit verringern, sinkt auch der Kapitalüberschuss. Dann werden weniger Dollars aus den USA abgezogen, und entsprechend weniger fließen über Investitionen wieder zurück. Dennoch wäre es übertrieben, von einem bevorstehenden Verlust des Status als wichtigste Reservewährung auszugehen. Es gibt, wenn überhaupt, nur wenige Alternativen zum Dollar, in dem auch der überwiegende Teil des internationalen Handels abgewickelt wird. Sehr viele Anleger sind Short-Positionen im Dollar eingegangen, sodass bei einem Abschwung eine überraschende Aufwertung möglich scheint.
Viele liquide Festzinstitel sind hoch bewertet. Eine Phase mit schwächerem Wachstum und einer insgesamt niedrigeren Inflation ist zwar gut für Investmentgrade-Credits, doch haben sich die Spreads seit Ende des 1. Quartals meist wieder verengt. Insgesamt halten wir hier aber eine lang laufende, wenn auch defensive, Position für sinnvoll. Da die risikoadjustierten Erträge bei derart engen Spreads asymmetrisch sind, kommt es sehr auf die Portfolioliquidität an. Nur bei ausreichend liquiden Mitteln lassen sich künftige Fehlbewertungen nutzen. Viele Marktsegmente sind überkauft. Ein Abbau dieser Positionen könnte wegen der weniger liquiden Anleihenmärkte zu Volatilität führen.
Portfoliopositionierung
Internationale Anleihen bieten Chancenvielfalt. Europäische Titel sind interessant – wegen ihrer günstigen Bewertungen und der anhaltenden Zinssenkungen der EZB. Für attraktiv halten wir auch die Emerging Markets, vor allem Länder mit Zinssenkungen. Innerhalb der USA scheinen uns Marktsegmente wie Asset-Backed Securities und kurz laufende High-Yield-Anleihen weiter interessant, zumal die Fed die Zinsen wohl erst später senkt als andere Notenbanken. Um solche Chancen zu nutzen, braucht man aber eine sorgfältige Einzelwertauswahl. Es gilt, interessante Credits zu finden und die Risiken in volatilen Zeiten angemessen zu steuern.
Investmentgrade-Anleihen
Die Spreads sind heute fast wieder so eng wie vor dem Liberation Day, und die Einzelwerte streuen nicht mehr so stark. Dennoch sehen wir interessante Chancen bei ausgewählten europäischen und amerikanischen Titeln. Besonders attraktiv sind Versorger. Sie sind recht günstig bewertet, auch wenn die Dekarbonisierung hohe Investitionen und damit Anleihenemissionen erfordert. Der große Kapitalbedarf der Versorger, mögliches Wachstum durch die Fortschritte Künstlicher Intelligenz und die höhere Energienachfrage dürften für interessante Anlagemöglichkeiten sorgen, vor allem bei Neuemissionen. Auch europäische Bankanleihen, vor allem nachrangige, stoßen auf wachsendes Interesse – wegen ihrer guten Performance und des voraussichtlich höheren Wirtschaftswachstums in Europa aufgrund zusätzlicher Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben. Außerdem sind Bankanleihen in der letzten Rallye etwas zurückgeblieben. Defensive Sektoren wiederum – etwa Investitionsgüter, Lebensmittel und Getränke sowie Gesundheit – stellen weiterhin höhere Cashflows in Aussicht, sodass wir sie zyklischeren Sektoren wie Einzelhandel und Automobilen vorziehen.
Emerging-Market-Anleihen
Emerging-Market-Fremdwährungsanleihen gelten im Vergleich zu Lokalwährungsanleihen traditionell als weniger riskant – wegen ihrer geringeren Volatilität und der oft höheren Kreditqualität. Die Spreads von Fremdwährungsanleihen haben sich nach der Ausweitung aber wieder erholt, sodass sie andere Assetklassen wie High Yield hinter sich gelassen haben. Aufgrund des schwachen Dollar und der zum Teil recht attraktiven Länder sehen wir hier die Chance auf solide risikoadjustierte Erträge. Um die Erträge zu optimieren und die Risiken zu steuern, muss man aber unbedingt auf die Länderdiversifikation achten. So scheinen uns lateinamerikanische Titel wegen der bevorstehenden Wahlen besonders interessant; hier könnte die Wirtschaftspolitik marktfreundlicher werden.
Duration
Eine lange Duration kann sich oft lohnen. Es kommt allerdings auf Land und Laufzeit an. In den USA sind fünf- bis zehnjährige Titel interessant, in Australien und Korea eher kürzer laufende Papiere. In Europa, vor allem in Peripherieländern wie Spanien, Italien und Griechenland, ist der Carry noch immer attraktiv, und bisweilen sind auch Anleihen internationaler Organisationen interessant. Das gilt vor allem für lang laufende EU-Anleihen. In Großbritannien bevorzugen wir Kurz- und Langläufer gegenüber mittleren Laufzeiten. Durch diese Vielfalt können Anleger mit Anleihen Marktverzerrungen in unterschiedlichen Laufzeitsegmenten und Regionen nutzen.
Fazit
An den Anleihenmärkten herrscht Unsicherheit, und die Volatilität ist hoch. Grund sind konjunkturelle und politische Faktoren. Sie führen zu Risiken, aber auch Chancen für Anleger, die sie strategisch nutzen. Um interessante Möglichkeiten zu finden und die Risiken zu begrenzen, braucht man umfassende Analysen und muss flexibel auf Marktveränderungen reagieren können. Das erfordert einen klaren Fokus und Risikobewusstsein.
Anlagen in Schuldtitel können an Wert verlieren, wenn sich die (tatsächliche oder wahrgenommene) Kreditqualität des Emittenten, Schuldners, Kontrahenten bzw. anderer zahlungsverantwortlicher Personen/Unternehmen oder der zugrunde liegenden Sicherheiten verschlechtert. Wertverluste sind auch bei einer Veränderung der Konjunktur, des politischen Umfelds sowie aus emittentenspezifischen oder anderen Gründen möglich. Bestimmte Anleihenarten können auf diese Faktoren stärker reagieren und sind dadurch volatiler. Hinzu kommen Zinsrisiken (steigen die Zinsen, verlieren Festzinstitel üblicherweise an Wert). Deshalb können die Anteilspreise des Fonds bei steigenden Zinsen fallen, da sich der Wert der Portfoliopositionen an die steigenden Zinsen anpasst.
Die hier dargestellten Meinungen sind die des Autors/der Autoren und können sich jederzeit ändern. Sie dienen ausschließlich Informationszwecken und dürfen nicht als Empfehlung zum Kauf von Wertpapieren, Aufforderung oder als Anlageberatung verstanden werden. Prognosen sind keine Garantien. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für künftige Ergebnisse.