Was Astronauten uns über passives Investieren lehren können
AUTOR
Robert M. Almeida
Portfoliomanager und
Global Investment Strategist
Im Überblick
- Die Mindererträge aktiver Strategien waren die Folge der geringen Chancenvielfalt.
- Die niedrigen Zinsen haben die Kapitalallokation verzerrt, als gäbe es keine Schwerkraft mehr. Das behindert die natürliche schöpferische Zerstörung.
- Steigende Kosten und die allmählich wieder zunehmende Chancenvielfalt schaffen jetzt neue Möglichkeiten für fähige aktive Manager. Sie können ihr Können dann wieder unter Beweis stellen.
Erst kürzlich kam bei einem Kundentermin wieder eine altbekannte Frage auf:
„Seit ich im Beruf bin, höre ich, dass aktives Management besser sei. Aber mir fehlt der Beweis. Werden aktive Manager jemals Mehrertrag erzielen?“
So sehen es viele Investmentmanager, die nach 2008 in den Beruf eingestiegen sind. Dazu passt auch die aktuelle Marktlage: Über 50% aller amerikanischen Aktien befinden sich in passiv gemanagten Portfolios, deutlich mehr als in den frühen 2010ern. Damals war es weniger als die Hälfte. Wenn man dann noch bedenkt, dass manche scheinbar aktiven Strategien verkappte Indexfonds sind oder mit einem minimalen Tracking Error arbeiten, erscheint die Dominanz passiver Strategien noch viel größer.
Werden aktive Manager also jemals Mehrertrag erzielen? Wenn Taten mehr zählen als Worte, hat der Markt die Frage beantwortet – mit einem klaren Nein. Aber dann müsste sich etwas Grundlegendes verändert haben. Zwei Dinge könnten passiert sein: Entweder sind aktive Manager sehr viel schlechter geworden, oder die Marktineffizienzen sind verschwunden, die sie früher genutzt haben.
Alpha ist … Können und Chancenvielfalt
Wer Alpha wirklich verstehen will, muss beim Fundamentalen Gesetz des aktiven Managements beginnen. Demnach ist die Information Ratio eines Portfoliomanagers (ein Maß für seinen risikoadjustierten Mehrertrag) das Produkt aus seinem Informationskoeffizienten (einem Maß für sein Können) und der Quadratwurzel der Anzahl der voneinander unabhängigen Anlagechancen (Chancenvielfalt bzw. Marktbreite, was aber nichts damit zu tun hat, wie viele Aktien an einem Aufschwung partizipieren, was ebenfalls Marktbreite genannt wird). Alpha ist also die Kombination aus Einzelwertkompetenz und Einzelwertstreuung.
Nachlassendes Können oder fehlende Chancenvielfalt
Die Fähigkeiten von Portfoliomanagern sind, wie andere menschliche Fähigkeiten auch, normal verteilt, mit der Marktentwicklung als Mittelwert. Seit den 2010ern ist die Verteilung immer schiefer geworden. Immer weniger aktive Manager lassen die Benchmark regelmäßig hinter sich. Kritiker erklären das oft damit, dass die Portfoliomanager immer weniger können. Der technische Fortschritt habe den früher üblichen Informationsvorsprung guter Manager beseitigt.
Das klingt erst einmal plausibel. Dank neuer Technologien sind Informationen sicherlich leichter verfügbar. Ich halte die Korrelation aber eher für zufällig und glaube nicht an eine Kausalität. Im Grunde sind Informationen nichts anderes als aggregierte Daten und Fakten. Analytisches Denken, die Kernkompetenz eines Portfoliomanagers, ist das Ergebnis von Erfahrung und Know-how. Ein Portfoliomanager muss Informationen zusammenführen, Schlüsse daraus ziehen und schließlich kluge Entscheidungen treffen. „Wissen ist die Nahrung der Seele, doch Weisheit ist die Würze“ – dieses dem englischen Dichter William Cowper zugeschriebene Bonmot fasst es gut zusammen. Der Wissensvorsprung mag kleiner geworden sein und ist vielleicht schon gar nicht mehr vorhanden, aber der Weisheitsvorsprung bleibt. Noch immer ist es nicht einfach, aus Wissen umsetzbare Erkenntnisse abzuleiten, zumal es die letzten 15 Jahre aktiven Managern nicht gerade leicht gemacht haben.
Das Können hat also wohl nicht nachgelassen. Aber wie steht es um die Chancenvielfalt? Die Streuung der Einzelwerterträge ist zyklisch. Ich will hier aber keine Grafiken präsentieren, die die nachlassende Bedeutung einzelwertspezifischer Risiken verdeutlichen oder zeigen, dass viele Aktien aufgrund externer Faktoren heute eng miteinander korreliert sind. Ich möchte das Konzept intuitiver erklären, vielleicht recht unkonventionell.
Raumfahrt und Chancenvielfalt: Auffällige Parallelen
Stellen Sie sich einmal einen Astronauten im Weltall vor. Wo die Schwerkraft fehlt, werden die Muskeln auf Dauer atrophisch. Körper brauchen Training, damit die Knochendichte nicht nachlässt. Die fehlende Schwerkraft hat gravierende Folgen. Nach ihrer Rückkehr zur Erde müssen die Astronauten aus der Landekapsel herausgehoben und getragen werden. Es folgt ein wochenlanges intensives Training, um die atrophischen Muskeln wieder aufzubauen.
Was die Schwerkraft für Astronauten ist, sind die Zinsen für die Wirtschaft. Sie schaffen den nötigen Widerstand, die nötige Belastung. Das führt zu Performanceunterschieden zwischen den besten und den schwächsten Aktien. Wenn die Kapitalnachfrage das Kapitalangebot übersteigt oder es mehr Kreditnehmer als Sparer gibt, steigen die Kapitalkosten. Für Investitionsprojekte müssen dann höhere Zinsen gezahlt werden. Die schwächsten Projekte werden nicht weiter-verfolgt. Wenn hingegen die Ersparnisse über der Kapitalnachfrage liegen, fallen die Zinsen. Viele Projekte werden dann attraktiver. Im Gleichgewicht wird dort investiert, wo das Kapital den größten wirtschaftlichen Nutzen stiftet. Ohne den Widerstand durch die Zinsen gilt das aber nicht, so wie Muskeln ohne Schwerkraft atrophisch werden.
In den 2010ern waren die Zinsen unterdurchschnittlich, vermutlich aufgrund der Sparschwemme und der nachlassenden Nachfrage nach Produktivkapital. Aber dann sorgten die Notenbanken für Verzerrungen, indem sie den natürlichen Marktzins auf ein Allzeittief drückten. Hinzu kamen die milliardenschweren staatlichen Ausgabenprogramme in der Coronazeit. Diese Phase ohne echten Widerstand, ausgelöst durch politische Entscheidungen, verlängerte die Lebensdauer von Investitionsprojekten und Unternehmen, die sonst als Fehlschläge gegolten hätten oder gleich ganz abgeschrieben worden wären. Der Widerstand wurde künstlich beseitigt, sodass kein Kapital mehr abgeschrieben wurde. Aus unserer Sicht hatte das eine geringere Chancenvielfalt zur Folge. Die Leiden fähiger aktiver Manager waren so gesehen zyklisch. Viel spricht dafür, dass sie externe Gründe hatten.
Ein Blick nach vorn: Neue Chancen
Niemand weiß, was morgen ist. Und doch spricht jetzt viel für grundlegenden Wandel. Unternehmen müssen heute sehr viel mehr Geld für Löhne, Kapitaldienst und Vorleistungen aufwenden als in den 2010ern. Auch wenn die Notenbanken versuchen, durch weitere Zinssenkungen Kapitalverluste zu vergesellschaften, könnten die alarmierend hohen Haus-haltsdefizite und wieder wachsamere Anleiheninvestoren für neue Schwerkraft sorgen.
Viel ist heute anders als in den 2010ern, mit Auswirkungen auf Konjunktur und Unternehmens-gewinne. Wer heute etwas anbietet, was die Kunden wirklich wollen und brauchen, kann besser damit zurechtkommen, seine Preise erhöhen und Marktanteile gewinnen. Unternehmen, deren Angebot aufgrund neuer Wettbewerber und Künstlicher Intelligenz weniger gefragt ist, haben es unterdessen schwerer. Diese unterschiedlichen Entwicklungen dürften zu einer größeren Chancenvielfalt führen. Die aktuelle Schieflage der Performance aktiver Manager könnte bald enden.
Die hier dargestellten Meinungen sind die des Autors/der Autoren und können sich jederzeit ändern. Sie dienen ausschließlich Informationszwecken und dürfen nicht als Empfehlung zum Kauf von Wertpapieren, Aufforderung oder als Anlageberatung verstanden werden. Prognosen sind keine Garantien. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für künftige Ergebnisse.