Auf den Konjunkturzyklus kommt es an: Schlussfolgerungen für Asset- und Sektorallokation
Autoren
Matthieu Walterspiler
Multi-Asset Research Analyst
Benoit Anne
Senior Managing Director
Im Überblick
- Es ist nicht immer leicht zu erkennen, wo wir im Konjunkturzyklus gerade stehen. Aber es ist wichtig. Unser neues Modell analysiert den Zyklus mit einem Wahrscheinlichkeits-ansatz.
- Die größte Herausforderung ist, dass Konjunkturdaten von Natur aus unberechenbar sind. Wenn sie sich wie zuletzt widersprechen, halten wir ein Wahrscheinlichkeitsmodell für besonders sinnvoll.
- Nach unserem Modell befindet sich die US-Wirtschaft gerade mit 55% Wahrscheinlichkeit in der Expansion – und mit 45% Wahrscheinlichkeit im Abschwung.
- Das spricht für eine vielleicht nicht unbedingt extrem gute, aber noch immer positive Wertentwicklung risikobehafteter Anlagen (Aktien und Credits). Auch die Ertrags-erwartungen für Staatsanleihen bleiben ordentlich.
- Die Erträge konjunktursensitiver Sektoren scheinen dem Modell zurzeit eher niedrig, zumindest gemessen an ihren hohen Betas.
So schwierig es ist: Wir müssen wissen, wo wir im Konjunkturzyklus stehen
Der Konjunkturzyklus hat große Auswirkungen auf die Erträge der einzelnen Assetklassen. Und doch ist es nicht leicht zu erkennen, in welcher Phase wir uns gerade befinden. Vielleicht sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht. Es gibt unzählige Zeitreihen: Die FRED-Datenbank der Federal Reserve Bank of St. Louis enthält über 220.000 Zeitreihen allein für die USA, regionale Daten nicht einmal mitgezählt. Oft sind sie aber sehr kurz und reichen für verlässliche Analysen nicht aus. Außerdem ist die Wirtschaft mehrdimensional und verändert sich langfristig. Der Konjunkturzyklus ist also komplex. Man kann Niveaus und Veränderungen, das Momentum (die Veränderung der Veränderung) und Auslastungsgrade betrachten. Es gibt Angebots- und Nachfragefaktoren sowie Märkte für Güter, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren. Angesichts der Vielzahl von Zeitreihen, der oft kurzen Datenhistorie und der recht wenigen Rezessionen in den USA – seit dem Zweiten Weltkrieg nur zwölf – überrascht es nicht, dass manche Frühindikatoren scheinbar noch jede Rezession vorhergesagt haben. Oft wiegt man sich dabei in einem falschen Gefühl der Sicherheit.
Unser Modell nutzt einen Wahrscheinlichkeitsansatz
Zur Analyse des Konjunkturzyklus hat die Multi-Asset Investment Group ein Modell mit einer Reihe von Indikatoren konstruiert.1 Es soll ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir uns in welcher Phase befinden. Dabei berücksichtigt es sowohl die natürliche Unsicherheit als auch die Mehrdimensionalität der Wirtschaft.
Dazu teilen wir den Konjunkturzyklus in vier Phasen auf:
- Krise: In dieser Phase ist die Wirtschaft nach Einschätzung des National Bureau of Economic Research (NBER) am schwächsten. Sie schrumpft, das Momentum ist schwach, die Arbeitslosigkeit steigt.
- Erholung: Das ist die Zeit der raschen Besserung nach einer Rezession. Das Momentum ist hoch, aber noch gibt es Überkapazitäten.
- Expansion: Diese Phase ist meist die längste. Die Wirtschaft wächst, das Momentum ist stabil, und die Überkapazitäten nehmen langsam ab.
- Abschwung: Jetzt verschlechtern sich die Daten wieder. Das Wachstum lässt nach, das Momentum ist negativ. Entweder folgt jetzt eine Krise, oder die Expansion geht nach einer Unterbrechung weiter.
Manche Variablen können in unterschiedlichen Phasen ähnliche Werte annehmen. Erst ihre Kombination liefert Hinweise darauf, wo wir gerade stehen (Abbildung 1).
Abbildung 1: Ausgewählte Variablen unseres Konjunkturzyklusmodells
Kennzahl |
Indikator für … |
Industrieproduktion in % z.Vj. |
Wachstum |
Bauinvestitionen in % z.Vj. |
Wachstum |
Bestellungen minus Lagerbestände (ISM), gleitender 3-Monats-Durchschnitt |
Wachstum (Momentum) |
Industrieproduktion in % z.Vj., Veränderung |
Wachstum (Momentum) |
Beschäftigung ohne Landwirtschaft in % z.Vj. |
Arbeitsmarkt |
Arbeitslosenquote in % z.Vj. |
Arbeitsmarkt |
Beschäftigung ohne Landwirtschaft in % z.Vj., Veränderung |
Arbeitsmarkt (Momentum) |
Arbeitslosenquote in % z.Vj., Veränderung |
Arbeitsmarkt (Momentum) |
Kapazitätsauslastung in der Industrie ggü. dem Trend |
Auslastungsgrad |
Beschäftigungslücke |
Auslastungsgrad |
Kapazitätsauslastung in der Industrie, Veränderung |
Auslastungsgrad (Veränderung) |
Beschäftigungslücke, Veränderung |
Auslastungsgrad (Veränderung) |
Quelle: Haver Analytics
Sehen wir uns einmal an, wie lange sich die US-Wirtschaft seit 1960 in den einzelnen Zyklusphasen befand. Hierbei gibt es große Unterschiede. Die Expansionsphase ist der Normalfall, mit 63% aller Monate. Krise (7%) und Erholung (9%) sind hingegen recht selten. Im Abschwung, dessen Wahr-scheinlichkeit wir zurzeit auf 45% schätzen, befand sich die US-Wirtschaft in 21% der Zeit.
Abbildung 2 zeigt die für unser Konjunkturmodell jeweils wahrscheinlichste Phase und die Rezessionen nach Definition des NBER. Dabei muss man wissen, dass die NBER-Rezessionen nicht in Echtzeit bekannt sind: Im Schnitt werden die Zeiträume erst ein Jahr später veröffentlicht. Auffällig ist, dass die offiziellen Rezessionen in der Regel dann beginnen, wenn das Modell einen Abschwung signalisiert – und nicht etwa eine Krise. Nicht zuletzt deshalb sind Abschwünge nicht zu unterschätzen, auch wenn sie der Expansionsphase nicht ganz unähnlich sind. Abschwünge sind gewissermaßen das Bindeglied zwischen Wachstum und Schrumpfung.
Weil sich die Makrodaten oft widersprechen, kennen wir die Zyklusphase nicht. Wir wollen diese Unsicherheit abbilden, indem wir mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Nach unseren Beobachtungen ändert sich das Konjunktursignal im Schnitt alle zehn Monate, sodass das Modell recht stabile Signale liefert. Besonders wichtig ist eine sichere Unterscheidung zwischen Expansion und Abschwung, weil beides oft nah beieinander liegt. Gerade bei leichten Abschwüngen wie 2016 oder 2019, die nicht in einer Krise mündeten, ist das Modell besonders nützlich. Es erfasst nämlich auch die damit einhergehende Unsicherheit.
Das Konjunkturzyklusmodell hilft, die aktuelle Phase zu erkennen – und die weitere Entwicklung zu prognostizieren. Das liegt daran, dass in das Modell auch Frühindikatoren einfließen, etwa Bestellungen minus Lagerbestände nach ISM. Weil der Konjunkturzyklus einem klaren Muster folgt – von der Krise über Erholung und Expansion bis zum Abschwung – und sich regelmäßig wiederholt, lässt die aktuelle Phase auch eine Prognose zu.
Die Unsicherheit, abgebildet dadurch, dass wir für die aktuelle Phase nur eine Wahrscheinlichkeits-aussage machen, kann auch Auswirkungen auf die künftige Wahrscheinlichkeit haben. Wenn wir uns höchstwahrscheinlich im Abschwung befinden, wird er mit einer höheren Wahrscheinlichkeit anhalten – und mit einer geringeren in einer Krise münden.
Die letzten Jahre nach der Straffung der Geldpolitik in den USA waren außergewöhnlich unsicher. Einer-seits waren Wohnimmobilienmarkt und Industriekonjunktur schwach, und die Arbeitslosenquote stieg allmählich, andererseits boomte der private Verbrauch. Für das Modell waren daher sowohl eine Expansion als auch ein Abschwung möglich – ein ungewöhnliches Ergebnis.
Nach gewissen Fortschritten in den ersten drei Monaten des Jahres hat sich die Arbeitsmarktlage wieder verschlechtert. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns im Abschwung befinden, beträgt nach unserem Modell daher jetzt wieder 45% (Abbildung 3). Längerfristig vertrauen wir unseren Einschätzungen der Phasen zu 95%, wobei das Modell am häufigsten eine Expansion anzeigt.
Konjunkturphasen und Ertragserwartungen
In der Vergangenheit waren die Erträge amerikanischer Aktien in der Expansion im Schnitt leicht über-durchschnittlich, während sie im Abschwung deutlich darunter lagen. Alles in allem ist der Abschwung die einzige Phase mit Verlusten. Auf den ersten Blick scheint es unplausibel, dass ausgerechnet in der Krise die Erträge am höchsten sind. Man darf aber nicht übersehen, dass unser Konjunkturmodell aus-schließlich auf Makrodaten beruht, während Finanzmärkte in der Regel viel vorwegnehmen. Deshalb fallen die Verluste im Abschwung an und nicht in der Krise.
Die Zyklusphase hat nicht nur Auswirkungen auf die erwarteten Durchschnittserträge, sondern auch auf deren Wahrscheinlichkeitsverteilung. Hauptgrund für die schwachen Erträge im Abschwung ist die hohe Wahrscheinlichkeitsdichte am linken Ende. Sie steht für jene Abschwünge, die in eine Krise übergehen.
Ähnlich sind die Ergebnisse bei Credits, deren Spreads sich im Abschwung tendenziell ausweiten.
Staatsanleihen sind meist weniger konjunktursensitiv, auch weil Anleihen generell eine weniger zyklische Assetklasse sind. Nach unserer aktuellen Modelleinschätzung ist es dennoch recht wahrscheinlich, dass wir uns im Abschwung befinden. Das passt zu zwar positiven, aber unterdurchschnittlichen Aktienerträgen.
Der Konjunkturindikator sagt auch etwas über die Verteilung der Ertragserwartungen aus, nicht nur über den Durchschnitt. Das zeigt die annualisierte Volatilität in den einzelnen Phasen. Am niedrigsten ist die Volatilität in der Expansion. Sie nimmt deutlich zu, wenn die Daten unsicherer werden und der Abschwung beginnt. In der Krise sind die Erträge meist ordentlich, allerdings auch am volatilsten.
Asset-Allokation über den Konjunkturzyklus
Wir glauben, dass sich unser Konjunkturmodell gut für die Asset-Allokation eignet. Es hilft unserer Multi- Asset Investment Group bei der Festlegung der Aktienquote und scheint uns auch bei der Aufteilung des Portfolios auf Anleihen und Aktien hilfreich. Um das zu zeigen, haben wir ein statisches 60/40-Portfolio mit einem Portfolio verglichen, dessen Aktien- und Anleihenquoten sich am Konjunktur-zyklus orientieren. Im Abschwung haben wir die Anleihenquote, in der Krise und der Expansionsphase die Aktienquote erhöht. Dabei haben wir sichergestellt, dass die Portfoliogewichte im langfristigen Durchschnitt 60/40 betragen. Dazu nutzten wir stichtagsbezogene Daten und schätzten das Zyklus-modell monatlich neu, jeweils mit den dann verfügbaren Daten und unter Berücksichtigung der Publikationsverzögerung. Seit 1998 hätte man mit dem modellbasierten dynamischen Portfolio 113 Basispunkte Mehrertrag p.a. gegenüber einem statischen Portfolio erzielt (8,4% gegenüber 7,3%), und das bei einer ähnlichen Aktienquote und einer ähnlichen Volatilität (annualisiert etwa 10,7%; Abbildung 5).
Konsequenzen für die Sektorallokation
Auf Sektorebene kann der Indikator auch für die Aufteilung auf Zykliker und defensive Titel genutzt werden. Nach unserem Modell sind Zykliker nur in der Krise und in der Erholungsphase attraktiv. In der Expansion entsprechen ihre Erträge etwa denen von defensiven Werten, im Abschwung liegen sie dahinter.
Insgesamt glauben wir, mit dem neuen Konjunkturmodell besser erkennen zu können, in welcher Phase wir uns befinden. Darüber hinaus liefert es Anhaltspunkte dafür, welche Phase als Nächstes folgt. Das Modell hilft bei Asset- und Sektorallokation gleichermaßen. Weil wir die Wahrscheinlichkeit, dass sich die US-Wirtschaft zurzeit im Abschwung befindet, auf 45% schätzen, erwarten wir in nächster Zeit nur mäßige Erträge risikobehafteter Wertpapiere.
1 Technisch gesehen verwenden wir nicht überwachtes maschinelles Lernen (Unsupervised Learning Model), genauer ein Gaussian Mixture Model (GMM). Dieses Modell interpretiert die zu jedem Zeitpunkt vorliegenden Daten als Resultat nicht direkt beobachtbarer Zustände – in unserem Fall unsere vier Phasen. Der Algorithmus schätzt sowohl die Charakteristika dieser Zustände, insbesondere die Werte der Variablen, als auch die Wahrscheinlichkeit, dass jeder Monat einer der vier Phasen zugeordnet werden kann.
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