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Die Ausgangslage zählt: Warum sich Aktienanleger nicht mehr auf die USA beschränken sollten

Warum sollte man sowohl in US-Aktien als auch in Aktien aus anderen Ländern investieren? Wir glauben, dass die Ausgangslage heute völlig anders ist als in den letzten zehn Jahren. Wegen der steigenden Zinsen, der höheren Inflation und der nachlassenden Liquidität könnte es sich für Anleger auf der Suche nach optimalen Erträgen lohnen, weltweit nach vielversprechenden Unternehmen Ausschau zu halten.

Nicholas J. Paul

Nicholas J. Paul

Equity Institutional Portfolio Manager

Im Überblick

  • Nach der internationalen Finanzkrise waren Zinsen und Inflation niedrig und fielen immer weiter. Zugleich gab es reichlich Liquidität. Heute sind Zinsen und Preise deutlich höher, und die Liquidität schrumpft. Die Ausgangslage ist heute völlig anders. 
  • Wer in die weltweit besten Unternehmen investiert – in Firmen mit Preismacht und stabilen Margen, in den USA wie in anderen Ländern – statt einfach nur auf eine bestimmte Region oder einen Investmentstil zu setzen – also einen Faktor zu kaufen –, könnte in den nächsten Jahren oft mehr verdienen. Außerdem verbessert sich die Portfoliodiversifikation. 
  • Während der Rallye der Technologie-Mega-Caps wurden viele andere Unternehmen übersehen. Sie könnten aber von künftigen Entwicklungen wie höheren Sachkapitalinvestitionen (statt generell höheren Ausgaben), der Energiewende und der Dekarbonisierung und nicht zuletzt von der Repatriierung und dem „Reshoring“ der Produktion profitieren.

Ich glaube, dass es nur wenige zeitlos aktuelle Börsenregeln gibt. Eine davon ist, dass es auf die Ausgangslage ankommt – und das gilt heute mehr denn je. Wahrscheinlich sind wir uns alle einig, dass Investieren in den nächsten zehn Jahren ganz anders sein wird als heute. Zinsniveau und Inflation, die Wahrscheinlichkeit neuer Liquiditätsspritzen der Notenbanken, Aktienbewertungen und Gewinnmargen – all das sieht heute völlig anders aus als zu Beginn der Hausse nach der internationalen Finanzkrise (Abbildung 1). 

Die aktuelle Ausgangslage

Beginnen wir mit Inflation, Zinsen und der Notenbankliquidität. Um die Inflation zu bekämpfen, haben die Notenbanken weltweit ihre Zinsen stark angehoben. Damit endete die beispiellos expansive Notenbankpolitik nach Corona, die noch über die Geldmengenexpansion nach der internationalen Finanzkrise hinausging. In Zukunft werden die Notenbanken solche expansiven Maßnahmen nicht nur vermeiden wollen, sondern auch vermeiden müssen. Ihre aufgeblähten Bilanzen lassen ihnen keine andere Wahl.

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Die lockere Geldpolitik der letzten zehn Jahre könnte daher jetzt endgültig passé sein. Investoren können sich nicht mehr darauf verlassen, dass billiges Geld die Aktienkurse immer weiter treibt oder für Gewinnwachstum durch Aktienrückkäufe oder andere Formen der Finanztechnik sorgt. Am deutlichsten zeigt sich das in den USA, wo die Bewertungen noch immer klar über dem Langfristdurchschnitt liegen (Abbildung 2) und die Gewinnmargen trotz steigender Arbeits- und Rohstoffkosten und der schwächeren Weltkonjunktur weiterhin hoch sind (Abbildung 3). 

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Es überrascht daher nicht, dass viele Anleger Probleme mit ihrer Asset-Allokation haben. Es ist ja auch nicht leicht, die Gewinner von morgen zu erkennen. Viele Anleger schreiben daher die Vergangenheit fort und rechnen damit, dass sich nichts ändert und US-Aktien weiter klar vorn liegen. Doch leider fallen Anleger, die vor allem auf die jüngsten Entwicklungen achten, hinter den Markt zurück und haben kaum eine Chance, dies wieder wettzumachen. Das aktuelle Umfeld – hohe Inflation und eine Wende der Geldpolitik in Kombination mit hohen Bewertungen und Gewinnmargen – macht die Asset-Allokation nicht einfach. Vieles ähnelt der Zeit, als nicht amerikanische Aktien letztmals hohe Mehrerträge gegenüber US-Titeln verzeichneten. Damals folgte eine Phase mit niedrigen Aktienerträgen. Auch hier gilt, dass es auf die Ausgangslage ankommt. 

Heute sieht es ähnlich aus wie nach der Dotcom-Blase

Vom Ende der Dotcom-Blase bis zum Beginn der internationalen Finanzkrise lagen nicht amerikanische Aktien deutlich vor US-Titeln. Der MSCI ACWI ex US Index stieg von Anfang 2000 bis Ende 2007 um 69,6%, der S&P 500 Index um gerade einmal 14,1%. Natürlich gibt es keine zwei völlig identischen Marktphasen, doch sieht heute vieles ähnlich aus wie in den etwa acht Jahren nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Zunächst einmal bieten die sehr günstigen Bewertungen nicht amerikanischer Aktien vielleicht die beste Kaufgelegenheit seit Jahrzehnten (Abbildung 4), da die Bewertungen um fast zwei Standardabweichungen unter denen von US-Aktien liegen.

Außerdem waren Inflation und Zinsen Mitte der 2000er Jahre den heutigen Zahlen sehr viel ähnlicher als in den zehn Jahren von der Internationalen Finanzkrise bis zum Ende der Pandemie. Von 2000 bis Ende 2007 betrug die US-Zehnjahresrendite im Schnitt 4,7% bei einer weltweiten Inflation von durchschnittlich 3,7% (Abbildung 5). Das ist völlig anders als nach der Internationalen Finanzkrise, als es faktisch keine Inflation gab und die Renditen weltweit fast null betrugen, wenn nicht negativ waren. 

In dieser Zeit kam es auch zu einem heftigen Ausverkauf, als die Dotcom-Blase platzte. Hauptgrund waren die völlig übertriebenen Wachstumserwartungen für die damals extrem teuren Technologiewerte, Stichwort irrationale Übertreibungen. Heute ist der Konzentrationsgrad des Russell 1000 Growth® Index gar nicht so viel anders (Abbildung 6).  

Natürlich sprach die Zinsdifferenz nach der Dotcom-Blase für nicht amerikanische Aktien. Investoren sahen deshalb Chancen außerhalb der USA. Weil außerdem der US-Dollar von seinem Höchststand bis 2007 um 40% abwertete, verdienten US-Anleger durch die Währungsumrechnung mit nicht amerikanischen Aktien noch mehr. Heute ist der US-Dollar im Vergangenheitsvergleich noch immer stark. In den letzten neun Monaten wertete er aber ebenfalls ab, und zwar um 11%, und reagierte damit auf das absehbare Ende der strafferen Geldpolitik in den USA (Abbildung 7).

Schließlich schienen auch die Unternehmensgewinne nach der Dotcom-Blase ähnlich zu sein wie die Gewinnerwartungen für die nächsten zehn Jahre. Damals lagen nicht amerikanische Aktien vor US-Titeln, und die Erträge waren zumeist mäßig: Annualisiert stieg der MSCI ACWI ex US Index nur um 6,8%, während der S&P 500 von 2000 bis 2007 nur um 1,7% zulegte.

Ertrag in einer ertragsarmen Welt

In einer Welt mit niedrigeren Erträgen wird das Beta unwichtiger und das Alpha umso bedeutender. Wenn es dann gelingt, Aktien zu finden, deren Kurse aufgrund steigender Unternehmensgewinne, Bewertungen und Dividenden zulegen, kann man seine Langfristerträge optimieren.

Nach über zehn Jahren mit Mindererträgen nicht amerikanischer Aktien fragt man sich natürlich, warum man überhaupt in sie investieren soll. Dabei sollten sich Anleger besser fragen, wo die besten Unternehmen zu finden sind – Firmen, die Kursgewinne durch steigende Gewinne, Bewertungen und Dividenden in Aussicht stellen. Sie gibt es nicht nur in den USA, sondern weltweit. Eine „Länderwette“ wäre daher unklug. Mir scheint es sehr viel logischer, weltweit nach Qualitätsunternehmen Ausschau zu halten, in den USA und anderswo. Wie Abbildung 8 zeigt, stammen die erfolgreichsten Aktien in der Vergangenheit nicht mehrheitlich aus den USA.  

Steigende Bewertungen waren einmal

In den letzten zehn Jahren hatten US-Aktien bei zwei Performancefaktoren einen Vorsprung: beim Gewinnanstieg und bei der Bewertungsentwicklung. Aber wie gesagt – oft ist es nicht klug, die Vergangenheit zu extrapolieren. Stattdessen sollte man sich überlegen, wie sich Bewertungen und Gewinne in den nächsten zehn Jahren entwickeln. Beginnen wir mit den Bewertungen: Die Notenbanken haben aufgehört, kostenlose Liquidität in den Markt zu pumpen. Wenn die Zinsen hoch bleiben, werden auch die Aktienbewertungen wieder in Richtung ihrer Langfristdurchschnitte fallen. Steigende Bewertungen werden dann wohl kaum noch für höhere Kurse sorgen. Wo die Bewertungen im Vergangenheitsvergleich hoch waren, etwa bei USAktien und vor allem bei amerikanischen Wachstumswerten, ist ein Rückgang nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. In Zukunft scheinen Kursgewinne daher nur noch durch Gewinn- und Dividendenwachstum möglich. 

Gewinne und Dividenden werden wichtiger 

Auch die Gewinnentwicklung sprach in den letzten zehn Jahren sehr für US-Aktien. Zur überreichlichen Liquidität, der niedrigen Inflation und den niedrigen Zinsen kam, dass US-Aktien gewissermaßen als Wachstumswerte schlechthin galten. Corona hat die Umsätze und Gewinne von Technologieunternehmen weiter steigen lassen, von denen nun einmal die meisten ihren Sitz in den USA haben. Doch heute ist das Umfeld völlig anders. Auch andere Sektoren und Branchen können von künftigen Entwicklungen profitieren. Deshalb, und weil Erträge eher fallen dürften, könnten Qualitätsunternehmen mit Preismacht und stabilen Margen interessant werden, wo auch immer sie ihren Sitz haben. Das unternehmensspezifische Alpha wird daher wichtiger als das Marktbeta. Außerdem werden Dividenden bei generell niedrigeren Erträgen einen größeren Teil der Erträge ausmachen. Nicht amerikanische Aktien haben in der Vergangenheit meist höhere Dividenden ausgeschüttet.

Viele Unternehmen könnten von neuen Themen profitieren  

Wir glauben, dass Technologie und Künstliche Intelligenz nicht nur große Auswirkungen auf unser Leben haben, sondern auch einer Vielzahl von Sektoren und Branchen nützen werden – und nicht nur der Handvoll Technologieriesen des letzten Jahrzehnts. Viele Unternehmen aus anderen Branchen haben ihren Sitz außerhalb der USA. Profitieren könnten sie etwa von höheren Unternehmensinvestitionen, der Energiewende und der Dekarbonisierung sowie dem Reshoring und der Repatriierung der Produktion, um nur einige Beispiele zu nennen.

Unternehmensinvestitionen  

In den letzten zehn bis zwölf Jahren sind die Anlageinvestitionen in Prozent des Umsatzes stark gefallen. Weil so wenig in Maschinen investiert wurde, sind sie heute im Schnitt fünf Jahre älter als in den 1970ern und 1980ern, sodass größerer Nachholbedarf besteht (Abbildung 9). Nach der internationalen Finanzkrise war Kapital wegen des Quantitative Easing nahezu kostenlos. Unternehmen hatten die Wahl. Sie konnten entweder in die eigene Firma investieren, oder auf Finanztechnik setzen und beispielsweise eigene Aktien zurückkaufen. Wegen des schwachen Wirtschaftswachstums und der niedrigen Inflation waren Investitionen ins eigene Unternehmen nicht sehr vielversprechend. Wenn Unternehmen trotzdem investierten, war es in Technologie („Opex“) statt in klassische Maschinen. Wie schon erwähnt, veraltete dadurch der Kapitalstock. Der Investitionsstau bei Maschinen und Infrastruktur wird allmählich angegangen. Davon dürften zahlreiche Sektoren und Branchen außerhalb des Technologiesektors profitieren, die in den letzten zehn Jahren eher ins Hintertreffen geraten waren. 

Dekarbonisierung und Netto-Null

Weltweit wollen immer mehr Unternehmen, Städte und Länder die Netto-Null erreichen, wie sie das Pariser Klimaabkommen fordert. Damit die Wirtschaft bis 2050 CO2-neutral ist, müssen die physischen Investitionen manchen Schätzungen zufolge um jährlich 3,5 Billionen US-Dollar steigen (Abbildung 10).1 Das entspräche etwa der Hälfte der weltweiten Unternehmensgewinne und einem Viertel der Steuereinnahmen des Jahres 2020.1 Vielleicht wird das nicht erreicht, doch könnten allein der Einkommensanstieg, das Bevölkerungswachstum und neue Dekarbonisierungsvorschriften zu einem jährlichen Anstieg um eine Billion US-Dollar führen.

Zweifellos muss in den nächsten zehn Jahren mehr Geld für den Klimaschutz ausgegeben werden, um die Netto-Null zu erreichen. Die Ausgaben werden sich aber nicht gleichmäßig auf Länder und Sektoren verteilen – was erneut zeigt, wie wichtig Anlagen außerhalb der USA sind. Die Energiewende birgt zwar auch Risiken wie das einer unsicheren Energieversorgung, aber eine Chance für aktive Manager ist sie auf jeden Fall. Die Dekarbonisierung schafft einen Markt für emissionsarme Produkte und Dienstleistungen und lässt die Ausgaben für Energie-, Wasser- und Verkehrsinfrastruktur steigen. Entscheidend wird sein, wie man das alles finanziert. Branchenstudien zufolge wird ein Drittel der zusätzlichen Ausgaben auf die heutigen börsennotierten Unternehmen entfallen, wenn man die aktuellen Bilanzsummen und Finanzmittel zugrundelegt.1 Der Markt dürfte es honorieren, wenn Unternehmen in die Dekarbonisierung investieren oder von den Dekarbonisierungsinvestitionen ihrer Kunden profitieren. Das gilt vor allem für Sektoren, in denen grüne Investitionen nötig sind, um Lieferengpässe zu überwinden und Geschäftsrisiken zu verringern. 

Repatriierung der Produktion

Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und andere weltpolitische Entwicklungen haben die Anfälligkeit des Just-in-Time-Konzepts und der internationalen Lieferketten deutlich gezeigt. Viele Unternehmen beginnen jetzt, die Produktion zu repatriieren, um ihre Lieferketten zu stabilisieren. Aber das braucht Zeit. Auch hier haben wir es weniger mit der Frage zu tun, ob man in den USA oder in anderen Ländern investieren sollte, sondern mit Entscheidungen für konkrete Unternehmen. Zu den Gewinnern werden unserer Ansicht nach Firmen zählen, die Wandel ermöglichen und mit Veränderungen umgehen können – wo auch immer sie ihren Sitz haben. 

Fazit

Die Ausgangslage für die Märkte ist heute anders als früher. Vorbei sind die Zeiten, in denen nur das Beta zählte und Investoren einfach nur den richtigen Stil, die richtige Region, das richtige Land und den richtigen Faktor auswählen mussten. Zinsen und Inflation sind heute höher als vor zehn Jahren. In den USA sind die Bewertungen im Vergleich zu den letzten zehn Jahren hoch, und in manchen Ländern dürften wohl auch die Gewinnmargen fallen. Unserer Ansicht nach zählt daher jetzt das Alpha und nicht mehr das Beta. Wer in die weltweit besten Unternehmen investiert, statt weiterzumachen wir bisher, könnte in den nächsten Jahren mehr verdienen und zugleich sein Portfolio diversifizieren.

Anmerkungen

 1Goldman Sachs Global Equity Strategy, 2022 Outlook: Getting Real, Goldman Sachs Global Investment Research. 

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