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Das Ende der fallenden Kapitalintensität

Wenn Lieferkettenstabilität wichtiger wird als Lieferketteneffizienz, dürfte das Auswirkungen auf die Kapitalrenditen haben. Robert Almeida zeigt, welche Unternehmen mit diesem Paradigmenwechsel voraussichtlich gut zurechtkommen und welche nicht.

Im Überblick

  • Aufgrund der Globalisierung fällt die Kapitalintensität seit Jahrzehnten.
  • Das kehrt sich jetzt um, weil Unternehmen ihre Lieferketten überprüfen und mehr investieren.
  • Einige Unternehmen werden damit gut zurechtkommen, viele aber nicht.

Mit dem plötzlichen Inflationsanstieg 2022 endete der jahrzehntelange Zinsrückgang. Zwar fallen die Anleihenrenditen jetzt wieder etwas, weil die straffen Finanzbedingungen Konjunktur und Wachstum dämpfen. Dennoch rechnen wir in nächster Zeit nicht im Entferntesten mit so niedrigen Kapitalkosten wie in den letzten Jahren, als die Notenbanken die Zinsen mit Quantitative Easing künstlich niedrig hielten. Alles findet irgendwann sein Gleichgewicht, und Zinsen sind keine Ausnahme – meiner Meinung nach aber jetzt auf einem höheren Niveau.

Wegen der höheren Kapitalkosten werden Unternehmen die Anlegererwartungen nicht mehr so leicht erfüllen können. Schon früher habe ich das als Teil eines großen Paradigmenwechsels beschrieben: Die Zeiten der mühelosen Erträge gehen vorbei; man verdient weniger und muss mehr dafür tun. Die größte Veränderung sind sicherlich die höheren Kreditzinsen, aber das ist nicht alles. In dieser Ausgabe von Strategie aktuell geht es deshalb um etwas anderes: den langfristigen Anstieg der Investitionsausgaben und dessen Auswirkungen auf die Gewinne.

Fallende Kapitalintensität war einmal

Die Globalisierung, vor allem Chinas Auftritt auf der Weltbühne Mitte der 1990er-Jahre als kostengünstiger Produktionsstandort, hat alles verändert. Aus dem schlafenden Riesen wurde die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit Auswirkungen weit über das Land hinaus. Industrieländerunternehmen brauchten dadurch deutlich weniger Kapital, weil sie die Produktion an kostengünstigere Standorte auslagerten.

Die Unternehmen mussten also nicht mehr so viel in Maschinen investieren, weil China und auch andere asiatische Länder das für sie übernahmen (Abbildung 1). Die Kapitalintensität – der Quotient aus Anlagevermögen und Umsatz – fiel daher kontinuierlich.

Das ist wichtig, weil der Zusammenhang zwischen Investitionsausgaben und Kapitalertrag langfristig und invers ist. Wenn die Kapitalintensität fällt, steigt ceteris paribus der Kapitalertrag, weil weniger Kapital eingesetzt wird. Außerdem sorgt die Produktionsverlagerung für niedrigere operative Ausgaben, weil weniger Mitarbeiter benötigt werden.

Die Kombination aus hohen Fremdkapitalquoten infolge künstlich niedriger Zinsen und fallenden Anlageinvestitionen sorgte für enorm hohe Aktionärserträge. Aber das ging zulasten von Sparern und Arbeitnehmern und verschärfte die Einkommensungleichheit. Beides ist jetzt vorbei.

In Zukunft steigende Kapitalintensität

In Zeiten von Corona und des russischen Kriegs gegen die Ukraine hat sich gezeigt, dass die Kundennachfrage aufgrund von Produktionsengpässen bisweilen nicht gedeckt werden kann. Für ein Auto sind Tausende von Bauteilen nötig, und wenn nur ein einziges fehlt, steht die Produktion still. Für Unternehmen ist es heute wichtiger, ein Produkt auch bei einer niedrigeren Marge sofort liefern zu können, als um den Preis von Lieferschwierigkeiten eine hohe Marge anzustreben. In den Medien ging es meist um den Bau von Halbleiter- und Elektroautofabriken, doch setzen auch die Hersteller anderer Elektrogeräte sowie Chemie- und Medizintechnikfirmen auf Repatriierung und Kapazitätsausbau. Auch in anderen Sektoren wird wieder mehr investiert.

Der sich anbahnende kalte Krieg zwischen den USA und China und zuletzt der heiße Krieg im Nahen Osten lassen die Lieferkettenrisiken weiter steigen. Auch wenn wir das genaue Ausmaß noch nicht kennen, rechnen wir damit, dass die Deglobalisierung die Kapitalverwendung verändert. In den letzten Jahren wurde viel Kapital über Dividenden, Aktienrückkäufe und Übernahmen an Aktionäre ausgeschüttet. Jetzt rechnen wir hingegen mit höheren Investitionsausgaben. Das dürfte die Erträge künftig schwächen.

Warum das wichtig ist

Kurzfristig reagieren die Wertpapierkurse auf Daten wie die monatlichen Beschäftigungs- oder Inflationszahlen. Langfristig kommt es aber auf den Kapitalertrag an. Wenn Lieferkettenstabilität wieder wichtiger wird als Lieferketteneffizienz, müssen wenig kapitalintensive Unternehmen trotzdem investieren. Das schadet ihren Erträgen.

Kapitalallokation ist nicht nur ein Thema für Finanzinvestoren, sondern auch für Unternehmen. Aktien- und Anleihenkurse sind Scorecards, wobei der Markt die Punkte vergibt. Vorbei gehen die Zeiten, als der Rückenwind durch künstlich niedrige Zinsen und die Globalisierung schlechte Anlageentscheidungen weitgehend folgenlos machte. Jetzt kann man sich nicht mehr so viele Fehler leisten.

Gut geführte Unternehmen können dennoch weiter stabile Erträge erzielen. Dazu müssen die Geschäftsleitungen verstehen, dass Kapital nicht immer so günstig sein kann wie in der Coronazeit und dass die Lieferketten wieder kürzer werden müssen. Hoch verschuldete Unternehmen mit hohem Kapitalbedarf könnten aber enttäuschen. Da die Wertpapierkurse von den Erträgen abhängen, dürfte deshalb auch am Markt ein Paradigmenwechsel anstehen: Einzelwertauswahl und aktives Management werden wieder wichtiger.

 

Die hier dargestellten Meinungen sind die des Autors/der Autoren und können sich jederzeit ändern. Sie dienen ausschließlich Informationszwecken und dürfen nicht als Empfehlung, Aufforderung oder als Anlageberatung verstanden werden. Prognosen sind keine Garantien.

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