Corporate Governance und Regulierung
Da die Dekarbonisierung weltweit entscheidend von den Maßnahmen der Unternehmen in den nächsten Jahren abhängt, sind deren Management und Corporate Governance ebenfalls wichtig. Entscheider, die die soziale Dimension der Energiewende nicht berücksichtigen, verfehlen die Klimaziele möglicherweise. Außerdem drohen Reputationsschäden. Daher ist eine starke Führungsebene und Corporate Governance für alle Unternehmen wichtig, um Risiken angemessen steuern und Chancen nutzen zu können. Die Boards müssen darauf hinwirken, dass ein gerechter Wandel für das Unternehmen Priorität hat.
Wie sieht ein gerechter Wandel in der Praxis aus?
Auf Mikro- wie auf Makroebene gibt es viele Beispiele für Klimaschutzpläne, die gescheitert sind oder scheitern könnten, weil sie nicht gerecht sind. Andere haben funktioniert oder werden voraussichtlich funktionieren, weil sie soziale und ökologische Ziele ins Gleichgewicht bringen. Solche Fälle gibt es in Industrieländern und Emerging Markets gleichermaßen. Das zeigt, dass ein gerechter Wandel für Unternehmen aus allen Ländern eine Herausforderung ist. Im Folgenden skizzieren wir einige Beispiele.
Fallstudien: Unternehmen
Air Products
Das amerikanische Chemieunternehmen Air Products will in Texas in großem Umfang grünen Wasser-stoff produzieren – und zwar in einer Region, die durch die jüngste Schließung eines Kohlekraftwerks zu verarmen droht. Gefördert wurde das Projekt durch den neuen Inflation Reduction Act (IRA), der auch Umweltinitiativen finanziert. Außerdem ist es ein Beispiel für eine gelungene Standortwahl. Es stehen Arbeitskräfte mit den nötigen Fähigkeiten zur Verfügung, die jetzt für eine grünere Zukunft umgeschult werden können.
Enel
Enel beschäftigt weltweit etwa 75.000 Mitarbeiter, davon 36.000 in Italien. Der Konzern reagierte auf die Herausforderungen der Energiewende und die strengeren EU-Emissionsstandards mit dem Programm Futur-e. Dabei handelt es sich um eine Initiative zur Schließung und Umnutzung alter Kohlekraftwerke. Im Mai 2017 gab Enel die Schließung zweier großer Kraftwerke bis 2018 bekannt; bis 2030 sollen dann alle Stein- und Braunkohlekraftwerke geschlossen werden. Enel will bis 2050 CO2-neutral werden und 23 Kraftwerke umstrukturieren, mit erheblichen Auswirkungen auf die Beschäftigten. Die Gewerkschaften haben Futur-e immer kritisch gesehen, da es an Informationen mangelte und sie kaum an dem Projekt beteiligt wurden.
In Italien hat Enel deshalb Gespräche mit den Gewerkschaften über eine Rahmenvereinbarung für einen gerechten Wandel aufgenommen. Themen sind Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, Versetzungen, Umschulung und vorzeitiger Ruhestand. Das ist ein Beispiel für einen gerechten Aktionsplan, der auch Neueinstellungen von Auszubildenden vorsieht, damit der Wissenstransfer von älteren zu jüngeren Mitarbeitern funktioniert. Außerdem werden Mitarbeiter ermutigt, mobil zu sein und sich weiterzubilden, damit die Ressourcen des Unternehmens optimal genutzt werden können. Hinzu kommen gezielte Qualifizierungsmaßnahmen, um die bisherigen Mitarbeiter im neuen Enel-Konzern weiterbeschäftigen zu können.
ENGIE Australia
Im November 2016 teilte ENGIE mit, dass das Hazelwood-Kraftwerk geschlossen werden soll, um die CO2-Emissionen zu senken. Die Regierung des Bundesstaats reagierte mit der Gründung der Latrobe Valley Authority (LVA). Sie nahm Kontakt zu Gewerkschaften, ENGIE und anderen Kraftwerksbetreibern, lokalen Kommunen und Gemeinschaftsorganisationen auf. Daraus entstanden vier große Initiativen mit dem Ziel, den betroffenen Arbeitern und ihren Familien zu helfen:
- Ein Programm für Arbeiter, das individuelle Maßnahmen zur Weiterbildung und beruflichen Neuausrichtung bietet
- Finanzielle Unterstützung für die Umschulung von Arbeitern, die direkt bei ENGIE beschäftigt sind, und Bundeshilfen für Leiharbeiter
- Ein Vermittlungsservice mit dem Ziel, durch Frühverrentungen in anderen Kraftwerken neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen
- Regionalpolitische Maßnahmen wie die Gründung einer Sonderwirtschaftszone durch die Regierung des Bundesstaats – mit finanziellen Anreizen für Unternehmen, entlassene Arbeiter dort zu beschäftigen
Ford
Ford will in Großbritannien in den nächsten zwei Jahren 1.300 Stellen streichen. In ganz Europa sollen 3.800 Stellen wegfallen, davon fast 1.700 für Ingenieure. Nur einen Tag vor der Entlassungswelle in Europa gab Ford bekannt, 3,5 Milliarden US-Dollar in eine neue Fabrik für Elektroautobatterien in Michigan zu investieren. Ohne ein Weiterbildungs- oder Umzugsprogramm für die betroffenen Arbeiter riskiert Ford eine nachlassende Arbeitsmoral sowie Kündigungen vor allem hoch qualifizierter Mitarbeiter. Außerdem drohen Streiks in Deutschland und weitere politische Eingriffe in das Restrukturierungsprogramm. Die sozialen Folgen des Wechsels von Verbrennungs- zu Elektromotoren für die Arbeiter könnten es der Branche erschweren, Subventionen einzuwerben.
Die Solar-Lieferkette
Etwa die Hälfte des Polysiliziums für die Produktion von Solarmodulen stammt aus China. Import-beschränkungen, nicht zuletzt aufgrund von Menschenrechtsfragen, könnten den Ausbau der für die Energiewende wichtigen Solarenergie stark hemmen. Im Dezember 2021 warnte Siemens-Vorstandschef Roland Busch, dass sein Unternehmen bei einem Exportverbot vielleicht keine Solarzellen aus China mehr kaufen könne. Dann sei die Energiewende jetzt zu Ende. Können Menschenrechtsbedenken in China die Entwicklung einer Solarzellenindustrie in anderen Ländern fördern, etwa in Indien?
Just Energy Transition Partnerships (JETPs)
Auf Länderebene entstehen neue Initiativen wie die Just Energy Transition Partnerships (JETPs). Ziel ist, die Lücke zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern auf dem Weg zur Netto-Null zu schließen.
JETPs sind Finanzierungsmechanismen. Reichere Länder finanzieren ein von Kohle abhängiges Entwicklungsland, um auch hier den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und den Weg zu sauberer Energie zu ermöglichen. Zugleich werden die sozialen Folgen abgefedert.1 So soll ausgewählten, von Kohle abhängigen Emerging Markets bei einer gerechten Energiewende geholfen werden, in ihrem eigenen Tempo und mit minimalen Nachteilen für ihre wirtschaftliche Entwicklung.
JETPs sind ein neues Konzept, das noch ganz am Anfang steht. Im Wesentlichen handelt es sich um Learning by Doing, da man noch nicht auf viele Erfahrungen zurückgreifen kann. Man sollte JETPs genau beobachten. Allerdings wissen wir noch nicht genug, um wirklich Einfluss auf Stakeholder nehmen zu können, von denen Akzeptanz und Wirkung maßgeblich abhängen. Auch ist noch nicht klar, ob JETPs die nationale Klimapolitik grundlegend verändern. Das ist aber nötig, damit Länder und Unternehmen hier echte Fortschritte machen.
Die ersten Erfolge von JETPs unter anderem in Indonesien zeigen, wie das Programm in Zukunft ausgebaut werden könnte.
Indonesien
Ende 2022 haben die USA, Großbritannien, Italien, Norwegen, Japan, Kanada, Dänemark, Frankreich und andere Industrieländer Indonesien 20 Milliarden US-Dollar Kapital aus öffentlichen und privaten Quellen angeboten. Noch gibt es keinen offiziellen Investitionsplan, doch soll die JETP den Ausstieg Indonesiens aus der Kohle beschleunigen, sodass die CO2-Emissionen des Energiesektors ab 2030 fallen. Bereits 2050 soll hier die Netto-Null erreicht werden, zehn Jahre früher als bislang vorgesehen. Außerdem würden erneuerbare Energien schneller zum Einsatz kommen: 2030 sollen mindestens 34% der gesamten indonesischen Energie aus erneuerbaren Quellen stammen.
Diese 20 Milliarden US-Dollar sind nur ein kleiner Teil der 600 Milliarden, die es für eine vollständige Dekarbonisierung der indonesischen Energiewirtschaft braucht. Er zeigt aber, welche Art von Hilfen aus privaten und öffentlichen Quellen zu erwarten sind.
Entscheidend wird sein, ob JETPs auch in anderen Ländern möglich sind. Damit hängt zusammen, ob den Emerging Markets die Energiewende gelingt. Fortschritte und Misserfolge einzelner Unternehmen hängen stark von der Politik ab. Aber auch die Veränderungsbereitschaft der Unternehmen dürfte eine wesentliche Rolle spielen.